Nachdenkliches_I (kein Blog)

 

In Anlehnung an Erich Kästners “Wo man singt, da laß dich nieder…” würde ich das “singt” in “senst” ändern wollen - der Tag muß noch kommen, an dem ich in einem meiner Kurse auf einen “bösen Menschen” treffen soll. Worin sich diese positive Erfahrung begründet, läßt sich nur mutmaßen:

 

Ist es die geteilte Liebe zur Natur, die uns automatisch verbindet? Oder der Spleen, eine alte Erntemethode und ihr Werkzeug vor dem Aussterben bewahren zu wollen? Die bewußte Abkehr von einer im Übermaß technisierten Welt, mit allen ihrer negativen Auswirkungen? Zu dem Häufchen der Auserwählten zu gehören, die auch am Sonntagmorgen bei Nieselregen ihre Wiese pflegen können, ohne von der Nachbarschaft abgemahnt zu werden?

 

Was es auch sei und dies fern von allen Anflügen von romantischer Verklärung: Wenn die Technik stimmt und die Sense gut gepflegt ist, bereitet diese Form der Grünflächenpflege ein großes Maß an Freude. Zweifelsohne fordert sie ein gewisses Maß an Physis, doch bewegt sich dieses auf dem Niveau eines herausfordernden Tischtennismatches. Sofern man nicht den bis in den Sommer verschleppten Frühjahresfilz diszipliniert, hat das Sensenmähen unbestreitbar eine meditative Komponente, gefördert durch eine eine der Frequenz des Mähschwunges angepaßten Atmung.

 

Der Lohn einer solchen Tätigkeit ist vielfältig. Vielleicht erlebt man die Wiese und die Umgebung in der Unberührtheit des frühen Tages, die Nähe zur Natur möglicherweise noch gesteigert durch den Barfußkontakt mit dem Untergrund. Der bald dem frisch geschnittenen Gras entströmende charakteristische Geruch. Die Zufallsbekanntschaft mit dem Grasfrosch, der Blindschleiche, der Ringelnatter, die zum Glück unbeschadet das Weite suchen konnten. Der Blick “zurück” auf die säuberlich aufgehäuften Reihen des Mähgutes.

Dies mag ziemlich eigenbrötlerisch klingen, doch eine weitere Freude stellt das Mähen in Gruppe dar, wo man in sehr spezieller Weise das gemeinschaftliche Hinarbeiten auf ein Ziel genießen kann. Und immer wieder erstaunlich, welche Fläche eine motivierte und im Sensenmähen geübte Gruppe ernten kann. Unweigerlich wird man Teil der Geschichte von mindestens 500 Jahren Landwirtschaft mit ausschließlich mit der Hand geführten Werkzeugen.

 

Als weniger offensichtliches Nebenprodukt wird eine Industrie am Leben gehalten, die sich nicht so ohne weiteres automatisieren und der totalen Effizienz opfern läßt. Ob die Kunst des Sensenschmiedens jedermanns Sache sein muß läßt sich diskutieren. Unbestreitbar handelt es sich aber um eine Handwerkskunst, deren Ausübung jahrelange Berufserfahrung erfordert und in der wahre Meisterschaft rar ist. Insofern ist die Verwendung und die Pflege des Sensenblattes eine kleine aber essentielle Brücke innerhalb der Gesellschaft, die uns daran erinnern mag, daß wir nicht so richtig zum Alleinsein taugen - so schön die Momente am durch Vogelsang versüßten Morgen auch sind.